Hans-Joachim Laewen / Beate Andres
Das infans-Konzept der Frühpädagogik
Spätestens seit den gemeinsamen Beschlüssen der Jugend- und Kultusminister-konferenzen im Jahr 2004 gelten Kindertagesstätten in Deutschland als Bildungs-einrichtungen, denen entscheidende Leistungen für die frühen Bildungsprozesse der Kinder zugetraut und tendenziell auch abverlangt werden. In den seit diesem Zeitpunkt nach und nach von den Bundesländern erarbeiteten Bildungs- und Erziehungsplänen für Kindertageseinrichtungen sind anspruchs-volle Ziele formuliert, die allerdings ohne weitreichende pädagogische Neuorientierungen und verbesserte Rahmenbedingungen kaum erreichbar scheinen.
Strukturelle Verbesserungen kommen dabei in den verschiedenen Bundesländern nur in sehr unterschiedlichem Maße voran. Allein der Betreuungsschlüssel variierte noch 2015 in der Krippe zwischen 1:3,1 (Baden-Württemberg) und 1:6,5 (Sachsen), für den Kinder-garten zwischen 1:7,7 (Baden-Württemberg ) und 1:14,4 (Mecklenburg-Vorpommern) (Bertelsmannstiftung 2015). Für eine an den gestiegenen Erwartungen orientierte Neuausrichtung der pädagogischen Arbeit stehen teils sinnvolle, insgesamt aber heterogene und nicht immer gut verfügbare Texte, Fortbildungsangebote und Teil-konzepte zur Verfügung. Inhaltlich liegen zu verschiedenen Themen u. a. die seriösen Publikationen des WIFF vor und länderübergreifende Projekte wie „Das Haus der kleinen Forscher“ bieten Fortbildungs- und Teilnahmemöglichkeiten an.
Gegenüber solchen auf Teilgebiete oder Einzelthemen angelegte Informationen enthalten pädagogische Konzepte in einem umfassenderen Sinn grundlegende Orientierungs-möglichkeiten für die pädagogische Arbeit, die in der Regel das Verhältnis von Bildung und Erziehung, das Bild vom Kind und die pädagogische Methodik (neu) definieren und erweitern. Im günstigsten Fall berücksichtigen sie den Stand des einschlägigen Wissens und Beispiele aus bester Praxis und werden in Kooperation mit der Praxis weiterent-wickelt. Das schließt eine Orientierung an klassischen Konzepten wie Fröbel oder Montessori nicht aus, wirft aber Fragen nach der Einbettung der frühen Konzepte in das heutige Wissen auf. Das gilt heute auch für die grundlegende Initiative zu einer Neu-orientierung der Frühpädagogik in der Bundesrepublik durch den Situationsansatz in den 1970er Jahren.
Erst zu Beginn der 2000er Jahre sind fast zeitgleich zwei neue Konzepte für die frühpäda-gogische Arbeit vorgestellt worden: Das von einer Arbeitsgruppe des Deutschen Jugend-instituts für die Bundesrepublik unter der Leitung von H. Leu adaptierte Konzept der „Bildungs- und Lerngeschichten“, das ursprünglich in Neuseeland entwickelt worden war, und das vom Institut für angewandte Sozialisationsforschung/ Frühe Kindheit (infans) entwickelte „infans-Konzept der Frühpädagogik“, das unter Berücksichtigung des Forschungsstandes und von Beispielen bester Praxis einen grundlegenden Neuanfang setzt.
Zur Geschichte des Konzepts
Das Konzept wurde auf der Grundlage der Ergebnisse des Bundesmodellprojekts „Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen“ (1997-2000) von Beate Andres und
Hans-Joachim Laewen und gefördert durch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg entwickelt und zwischen 2002 und 2005 in 68 Kinder-tageseinrichtungen in Brandenburg und Baden-Württemberg auf seine Praxisfähigkeit überprüft.
Im Jahr 2005 erschienen zwei Arbeitsfassungen des Konzepts unter dem Titel „Bildung und Erziehung in der Kindertageseinrichtung“ im Verlag „das netz“ und im Kommunal-verband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) als „Arbeitshilfe für Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen.
infans e.V. bot ab 2005 wegen der großen Nachfrage von Trägern vor allem aus Baden-Württemberg zahlreiche Fortbildungen und Info-Veranstaltungen an und wertete die Erfahrungen mit dem Konzept kontinuierlich aus. 2011 erschien schließlich eine von Andres und Laewen noch einmal gründlich überarbeitete Fassung des Konzepts unter dem Titel „Das infans-Konzept der Frühpädagogik – Bildung und Erziehung in Kinder-tagesstätten“ zusammen mit allen Instrumenten im Verlag „das netz“.
Ab 2009 begann in Kooperation mit der Schweizer Gruppe „bildungskrippen.ch“ die Ausarbeitung einer Erweiterung des Konzepts für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren, die in Krippen verschiedener Träger in der deutschsprachigen Schweiz erprobt wurde. 2013 ist eine Weiterentwicklung dieses Konzepts in einem Sonderdruck unter dem Titel „Grundlagen für die Qualitätsentwicklung in Kinderkrippen“ von Laewen und Andres publiziert und auf dem von infans-StEG e.V. im selben Jahr organisierten Fach-kongress „Verantwortung übernehmen – Qualität verbessern“ in Bad-Krozingen der Fachöffentlichkeit vorgestellt worden.
Grundlagen des Konzepts
Bildung, Erziehung und Betreuung
Im infans-Konzept wird klar zwischen den Begriffen Bildung und Erziehung unter-schieden. „Erziehung“ wird als umfassende Verantwortung für die Bildungsmöglichkeiten der Kinder dem pädagogischen Fachpersonal zugeordnet. Bildung als Prozess wird als Aktivität der Kinder verstanden. Bildung als Ergebnis resultiert aus der Interaktion zwischen der Erziehung durch Erwachsene und der Bildungsarbeit der Kinder. Erziehung wird dabei als auf definierte Ziele gerichtete und an Interessen und Themen der Kinder orientierte Aktivität der Erwachsenen verstanden, als „Aufforderung zur Bildung“, wie Ludwig Liegle das in einem Aufsatz genannt hat. Inzwischen hat auch die Erziehungs-wissenschaft diesen Zusammenhang (wieder-)entdeckt.
Der Betreuungsbegriff hat in der Form einer allgemeinen Sorge um das Wohl der Kinder in das Konzept Eingang gefunden. Ein Nahrungs- und Materialangebot, das frei von Umweltgiften ist, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Eine besondere Achtsamkeit wird den frühen Bindungsbezügen der Kinder entgegengebracht, deren Aufbau während einer sorgfältig geplanten Eingewöhnungszeit und deren Sicherung im Anschluss daran durch ein an den Anwesenheitszeiten der Kinder orientiertes Personalmanagement zwingend verlangt wird. Das gilt insbesondere (aber nicht nur) für die Kinder unter drei Jahren.
Ziele und allgemeine Vorgehensweisen
Das Konzept bietet den Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen einen Handlungs-rahmen an, der sie dazu herausfordert, ihr Team zu einer lernenden Organisation umzugestalten. Ein -in diesem Sinn – lernendes Team entwirft anspruchsvolle Ziele für seine Arbeit, gelangt zu einem tiefen Verständnis der Bedeutungen des Handelns jedes einzelnen Kindes und misst seine pädagogische Arbeit an hohen Qualitätsstandards. Das Konzept enthält Handlungsanleitungen für die Reorganisation der gesamten pädagogischen Praxis von Kindertageseinrichtungen und stellt hohe Anforderungen an die Professionalität und Innovationsbereitschaft der Fachkräfte.
Das erklärte Ziel des Konzepts ist es dabei, die natürliche Neugier der Kinder, ihre Interessen und Themen aufzugreifen und zu definierten und reflektierten Erziehungszielen der Kindertageseinrichtung in Bezug zu setzen. Die Bildungsprozesse der Kinder werden auf höchst möglichem Niveau unterstützt und herausgefordert: durch eine anspruchsvolle materielle und räumliche Gestaltung der Kindertageseinrichtung und durch pädagogische Interaktionen, die sich auf das individuelle Wollen jedes einzelnen Kindes ebenso stützen wie auf das in Erziehungszielen konkretisierte Wollen der Erwachsenen.
Das Konzept bietet Wege an, wie mit der Kraft der Kinder gearbeitet werden kann, an statt dagegen anzukämpfen, ohne dass dabei legitime und zukunftsfähige Ziele der Erwachsenen aus dem Auge verloren werden. Es wird ernst gemacht mit dem Grundsatz, dass nachhaltiges Lernen immer dann am ehesten möglich ist, wenn der Lernende sich für den Gegenstand seiner Bemühungen auch interessiert.
Im Rahmen des Konzepts findet kein Training statt, sondern die Pädagogik folgt den Kindern mit hoher Achtsamkeit und lässt ihnen die Freiräume, die Kinder nun einmal brauchen. Die Erzieher/innen achten auf das Wollen der Kinder, nehmen es ernst und setzen diesem Wollen anspruchsvolle Ziele. Das geschieht einerseits durch das Material-angebot und durch die Ausgestaltung der Räume, die auch komplexe Inhalte unserer Kultur (Zeichensysteme, Kunst, Architektur, Konstruktionszeichnungen, Bewegungsangebote, etc.) in den Erfahrungsbereich der Kinder rücken. Andererseits durch systematische und auf jedes einzelne Kind bezogene Planung des pädagogischen Handelns, das die Basis für den pädagogischen Dialog darstellt und jedes Kind an seine Grenzen locken und behutsam darüber hinausführen soll. Jedem Kind bleiben jedoch weite Räume, um mit den neuen Erfahrungen auf je eigene Weise umgehen zu können.
Voraussetzungen und Methodik des Konzepts
Das Team
Das infans-Konzept kann in vollem Umfang nur von einem kooperierenden Team umge-setzt werden, einzelne Fachkräfte wären überfordert. Das setzt voraus, dass in einem Team ein hohes Maß von Einvernehmen besteht, in seiner pädagogischen Arbeit Exzellenz anzustreben und sich auf diesem Weg wechselseitig zu unterstützen. Der Aufbau eines leistungsfähigen Systems interner (und externer) Kommunikation ist die notwendige Voraussetzung für ein solches Vorhaben und kann nicht ohne die zuvor erzielte Zustimmung (fast) aller Mitglieder des Teams erreicht werden.
Das infans-Konzept kann nicht verordnet werden (z. B. durch den Träger), sondern muss sich auf ein klares Wollen der Mitarbeiter stützen können. Das geht nicht ohne gründliche Diskussion des Für und Wider, für die man sich Zeit nehmen sollte. Für Einrichtungen, in denen die Erzieher/innen damit zufrieden sind, das zu tun, was sie immer schon getan haben oder die Leidenschaft fehlt, in der Arbeit hohe und höchste Qualität erreichen zu wollen, ist das Konzept ungeeignet. Das infans-Konzept ist für Teams mit hohen Ansprüchen an die Qualität ihrer Arbeit gedacht.
Erziehungsziele und Interessen der Kinder
Ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung des Konzepts ist die Entwicklung von Erziehungszielen, die in jeder Kindertageseinrichtung formuliert und nach einem vor-geschlagenen Verfahren auf die Handlungsebene hin konkretisiert werden. Dabei wird von den persönlichen Zielen der Erzieherinnen ausgegangen, die in weiteren Schritten durch Ziele der Eltern, des Trägers, durch die Vorgaben der Bildungs- und Erziehungs-pläne der Bundesländer und durch als wichtig erachtete gesellschaftliche Ziele ergänzt werden. Die konkretisierten Erziehungsziele geben unter Berücksichtigung der aktuellen Bildungsprozesse jedes einzelnen Kindes unmittelbare Orientierungen für das pädagogische Handeln.
Der inzwischen weit verbreiteten Methodik der systematischen Beobachtung von Kindern fällt im Rahmen des Konzepts die spezifische Aufgabe zu, die Ebene des Wollens der Kinder zu erschließen, um sie ins pädagogische Handeln einzubeziehen zu können. Dafür stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Durch gezielte Beobachtung, ihre Dokumentation und mit Auswertungsverfahren, die sich auf Fachwissen und Methoden kollegialer Beratung stützen, werden zunächst Interessen der Kinder identifiziert, die in weiteren Schritten der fachlichen Reflexion auf zugrunde liegende Themen untersucht werden.
Bevor auf Themen und Interessen der Kinder in der pädagogischen Arbeit eingegangen wird, werden die konkretisierten Erziehungsziele darauf hin überprüft, ob sie Bezüge zu eben diesen Themen und Interessen der Kinder enthalten, an die angeknüpft werden kann. Wenn umgekehrt in der Verfolgung der Erziehungsziele pädagogische Angebote an ein Kind sinnvoll erscheinen – etwa im Bereich der Sprachbildung -, orientieren sich auch diese Angebote als zugemutete Themen an den Interessen des Kindes. Es werden dann z.Bsp. mit Blick auf Sprachkompetenz, eher Anlässe geschaffen, in denen das Kind selbst am Gebrauch von Sprache interessiert ist, als Trainingssituationen zu erzwingen.
Je nachdem, ob ein Thema des Kindes als Ausgangspunkt für die pädagogische Arbeit gewählt wurde oder ein Erziehungsziel im Vordergrund stand, wird davon gesprochen, auf Themen des Kindes zu antworten oder ihm ein Thema zuzumuten. Sowohl die Antworten auf Themen des Kindes, die jeweils darauf zielen, dem Kind ihre Bearbeitung auf höchstmögliches Niveau zu ermöglichen, als auch die Herausforderung von Bildungs-prozessen des Kindes durch die Zumutung von Themen gehören zur zentralen Methodik des Konzepts.
Individualisierung und Dokumentation
Die hoch individualisierte Vorgehensweise bietet dabei eine sehr gute Grundlage für eine inklusive Pädagogik in Kindertageseinrichtungen. Von den Fachkräften erwartet das Konzept eine hohe Bereitschaft, die (subjektive und objektive) Bedeutung des Handelns der Kinder verstehen zu wollen, sie ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt der Herausforderung von Bildungsprozessen zu nehmen. Das gilt in gleicher Weise für Kinder mit oder ohne Handicap.
In einem Portfolio, das für jedes Kind angelegt wird, werden alle Beobachtungen und Auswertungen dokumentiert. Das Portfolio bietet die Grundlage für die pädagogische Planung und das, für jedes Kind mindestens einmal jährlich, zu erarbeitende „Individuelle Curriculum“. Dabei wird bei jedem pädagogischen Angebot auf die Antwort bzw. Reaktion des Kindes geachtet. Bleibt eine positive Reaktion des Kindes aus, wird geprüft, ob Themen und Interessen des Kindes bei der Auswertung der Beobachtungen ggf. nicht hinreichend genau erfasst worden sind. Eltern und Kinder haben jederzeit Zugang zu ihren Portfolios, jedoch sind sie in erster Linie Arbeitsgrundlage des Fachpersonals.
Sowohl die Erarbeitung von Erziehungszielen als auch die Auswertung der Beobach-tungen und die pädagogische Planung, die im Individuellen Curriculum für jedes Kind ihren Ausdruck findet, verlangen in hohem Maße die Kooperation der Fachkräfte. Regel-mäßige Teamsitzungen von ausreichender Dauer zu ausschließlich pädagogischen Themen sind Pflicht.
Das infans-Konzept in der Praxis
Das Konzept stellt jede Kindertageseinrichtung vor sehr große Herausforderungen. Es lässt sich in vollem Umfang nur umsetzen, wenn das gesamte Team zur Mitarbeit (und in den ersten Monaten in der Regel auch zu Mehrarbeit) bereit ist. Dem Team und seiner internen Kommunikationsstruktur kommt deshalb eine sehr hohe Bedeutung zu. Eine herausragende Kooperation im Team gehört u. E. zu den Grundvoraussetzungen für eine anspruchsvolle Pädagogik auf höchstem Niveau. Erste Forschungsdaten belegen diese Einschätzung.
Der Umstellungsprozess dauert etwa ein Jahr. Im Zentrum der Aufgabe steht dabei ein Perspektivwechsel, in dessen Folge das Kind als Subjekt seiner Bildungsprozesse und als handelnder Akteur ernst genommen wird. Verstanden werden muss, dass Bildungswege individuellen Interessen und Themen folgen und die verpflichtende Aufgabe von Pädagogik darin besteht, die Bildungsprozesse jedes Kindes auf höchstmöglichem Niveau zu unterstützen und herauszufordern.
Es geht für das Team zentral um die Entwicklung einer gemeinsamen Vision, die als Grundlage für eine Umgestaltung der Einrichtung zu einer „Lernenden Organisation“ dienen kann. Jede Fachkraft reflektiert zu Beginn die eigenen Ziele, die sie mit ihrer Arbeit erreichen will und veröffentlicht die wichtigsten davon in intensiven Gesprächen mit den Kolleg(inn)en. Dieser Schritt führt, wenn er ernsthaft und authentisch umgesetzt wird, zu einem besseren wechselseitigen Verstehen im Team, er stärkt die Kooperations-bereitschaft und bildet eine gute Basis für die gelingende Arbeit mit dem infans-Konzept in der Kindertageseinrichtung.
Das erste Jahr der Einarbeitung in das infans-Konzept gilt (zu Recht) als schwierig, weil grundlegende Perspektiven auf die Kinder, das Team und die pädagogische Arbeit verändert werden. Eine qualifizierte Begleitung durch eine der ausgebildeten Multiplikator(inn)en des Konzepts kann in dieser Zeit sehr hilfreich sein. Trotz aller Anstrengungen, die zu Beginn notwendig sind, wollte jedoch bisher die sehr große Mehrzahl derer, die sich einmal darauf eingelassen haben, nicht wieder zurück zu den alten Verhältnissen. Aktuell arbeiten nach unserer Schätzung (genaue Daten liegen nicht vor) etwa 2.000 Einrichtungen in Deutschland und der Schweiz auf unterschiedlichen Qualitätsniveaus mit dem infans-Konzept.
Anpassung der internen Strukturen
In einer Kindertageseinrichtung, die erfolgreich mit dem infans-Konzept arbeitet gehört die regelmäßige Beobachtung der Kinder, die Auswertung der Beobachtungen und die Ausarbeitung „Individueller Curricula“ für jedes Kind selbstverständlich zum professio-nellen Alltag. Im Laufe der Zeit werden Erfahrungen mit der Identifizierung von Inter-essen und Themen der Kinder gesammelt, die dann in der pädagogischen Arbeit zu-nehmend müheloser berücksichtigt werden können. Die systematische Auswertung der Beobachtungen im Team oder – bei größeren Einrichtungen – in Teilteams wird auf die Weise ebenfalls zu einer der vertrauten Leistungsroutinen der Einrichtung.
Interne Verfahren der Qualitätskontrolle werden entwickelt, die sowohl die fachliche Weiterbildung als auch die täglichen Arbeitsabläufe erfassen. Die Arbeit in der Einrichtung wird durch fachlich kommentierte Fotodokumentationen, die überall in der Kita aus-hängen, transparent gemacht. Darüber hinaus haben – wie bereits erwähnt – die Eltern eines Kindes jederzeit Zugang zu dem Portfolio ihres Kindes, in dem alle Beobachtungen, die Auswertungen und die pädagogischen Planungen in Bezug auf ihr Kind enthalten sind. Zwei ausführliche Elterngespräche im Jahr gehören zum Standard und können auf der Grundlage der in den Portfolios gesammelten Bildungsdokumentationen und zum pädagogischen Prozess leicht vorbereitet werden.
Öffentliche Anerkennung und Forschungsdaten zum infans-Konzept
Über die unmittelbaren Rückmeldungen aus der Praxis hinaus liegen inzwischen einige Belege für die öffentliche Anerkennung der Qualitätsentwicklung vor, die durch die Arbeit mit dem infans-Konzept erreicht werden können. Bereits 2005, also unmittelbar nach Abschluss der Erprobungsphase des Konzepts, wurde das Jugendamt Stuttgart, das mit acht Einrichtungen an der Einführung des Konzepts in die Praxis beteiligt war, dafür mit einem ersten Platz unter 330 Bewerbungen im Wettbewerb „Alle Talente fördern“ der McKinsey-Unternehmensberatung ausgezeichnet.
2013 ist die kommunale Einrichtung „Haus für Kinder am Hirzberg“ in Freiburg als „Beste Kita Deutschlands“ mit dem „KitaStar in Gold“ ausgezeichnet worden und 2015 die Einrichtung „KSA Zwärglihuus“ in Aarau mit dem „Schweizer Preis für Frühkindliche Bildung“.
Aktuell liegen Daten aus fünf Studien vor, in denen Zusammenhänge zwischen der Arbeit mit dem infans-Konzept und der Qualität der pädagogischen Arbeit – teilweise ver-gleichend mit anderen Konzepten – untersucht wurden.
Dazu gehört die Studie der Gruppe um Wolfgang Tietze an der Freien Universität Berlin, in der infans-Einrichtungen im Vergleich mit 80 anderen Kitas einen signifikant höheren Qualitätsstandard auf den KES-R-Skalen zeigten (Tietze et al. ohne Jahresangabe).
Das Jugendamt Stuttgart ließ nach Abschluss der Erprobungsphase mit dem Konzept eine kleine Befragung durchführen. Erzieherinnen aus acht Kitas, die unter dem Titel „Einstein in der Kita“ an der Erprobung teilgenommen hatten, sowie Eltern und Lehrerinnen der Grundschulen, die Kinder aus infans-Kitas aufgenommen hatten, äußerten sich wie folgt:
Bei den Kindern sei „eine hohe Anspruchshaltung“ festzustellen, was ihnen dem Umgang mit Langeweile erschwere. „Besonders gut kämen sie (die Kinder, H.L.) dagegen mit Hausaufgaben und anderen selbstständig zu erledigenden Aufträgen klar, vor allem solchen, die eigene Recherche, Material-Suche und kreative Antworten erfordern.“ Dies bestätigen die Lehrerinnen: „Unterschiedliche Wissensquellen können sich Einsteinkinder selbstständiger erschließen. Außerdem widmen sie sich ihren Aufgaben mit größerer Ausdauer.“ Sie seien äußerst neugierig und motiviert, im Unterricht besonders ideenreich und aktiv. Ihre Auffassungsgabe sei hoch, sie hinterfragten viel und suchten in allen Aufgaben den Alltagsbezug. Außerdem akzeptierten sie Regeln gut, seien einsichtig und besonders teamfähig. Gruppenarbeit führe bei ihnen zu besten Ergebnissen. Müssen sie dagegen einzeln und still an ihrem Platz arbeiten, seien sie unruhiger als andere Kinder.
Eltern, Lehrerinnen und Hortleiter bewerten die Arbeit mit dem Konzept als gute Schulvorbereitung. Es komme den neuen Bildungsplänen und der angestrebten Öffnung für neue Unterrichtsformen entgegen. Wünschenswert sei es, dass alle Kinder eine solche Bildungseinrichtung durchlaufen und die Schule mit ähnlichen Erfahrungen beginnen.“ (Stadt Stuttgart 2005, S. 30)
Die Ev. Fachhochschule Freiburg führte 2009/2010 eine vergleichende Untersuchung mit über 200 Kindern in drei Kindertageseinrichtungen in Rastatt durch, darunter auch eine Einrichtung, die mit dem infans-Konzept arbeitet). Die Ergebnisse zeigen, dass die Kinder in der infans-Kita signifikante Vorteile auf zwei der sieben (für die Entwicklung des Denkens relevanten) Subskalen des Wiener Entwicklungstests zeigten, die Eltern zufriedener mit der Arbeit der Erzieherinnen waren und diese sich durch ihre Arbeit weniger belastet fühlten. (u. a. Wünsche et al. 2012).
In der deutschsprachigen Schweiz wurde vom Marie-Meierhofer-Institut in Zürich in den Jahren 2009 bis 2011 eine Untersuchung in Krippen durchgeführt, die einen Qualitätsver-gleich zwischen dem infans-Konzept, dem Konzept der „Bildungs- und Lerngeschichten“ (Leu et al. 2007) und einer Kontrollgruppe zum Gegenstand hatte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einrichtungen nach der Einführung des infans-Konzepts signifikante Qualitätsgewinne bei einigen Vorteilen gegenüber dem Konzept der „Bildungs- und Lerngeschichten“ erzielten (Hofmann, T. und Bolz, M. 2012; Wustmann-Seiler, C. 2013).
Ein fast gleichlautendes Ergebnis zeigte die Evaluation der pädagogischen Qualität in Kitas der Stadt Stuttgart von Tietze et al. für Kindergärten. Signifikante Vorteile der „infans-Einrichtungen“ gegenüber anderen Konzepten. (Tietze et al. 2011).
Berlin, Oktober 2016
Literatur
Bock-Famulla, K., Lange, J., Strunz, E.: (2015): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2015. Verlag Bertelsmann Stiftung
Leu, H.-R./Flämig, K./Frankenstein, Y./Koch, S./Pack, I./Schneider, K./Schweiger, M. (2007): Bildungs- und Lerngeschichten. Bildungsprozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen. Weimar und Berlin.
Literatur zum infans-Konzept der Frühpädagogik
Andres, B. (2008): Mutter, Vater, Kind und Kita. Gedanken rund um den Beziehungsaufbau in der Eingewöhnung. In: TPS, Gut aufgehoben!? Die Jüngsten in der Kita, Ausgabe 7, S. 16-19.
Andres, B. (2009): Bindungsbedürfnisse der Kinder in der Offenen Arbeit. Anmerkungen zum achtsamen Umgang. In: TPS, Bindungen, Ausgabe 3, S. 18-19.
Andres, B., Laewen, H.-J. (2011). Das infans-Konzept der Frühpädagogik. Weimar, Berlin: Verlag „das netz“.
Laewen, H.-J. (1989b): Nichtlineare Effekte einer Beteiligung von Eltern am Eingewöhnungsprozeß von Krippenkindern: Die Qualität der Mutter-Kind-Bindung als vermittelnder Faktor. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2, 102-108.
Laewen, H.-J. (1994): Zum Verhalten und Wohlbefinden von Krippenkindern – Bezüge zur mütterlichen Lebenssituation und der Qualität der Beziehung von Erzieherin und Mutter. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 1. S. 1-13.
Laewen, H.-J./Andres, B. (2007): Forscher, Künstler, Konstrukteure. Werkstattbuch zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Cornelsen Verlag. 1. Auflage 2002, Luchterhand Verlag.
Laewen, H.-J./Andres, B. (2007): Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Cornelsen Verlag. 1. Auflage 2002, Luchterhand Verlag.
Laewen, H.-J., Andres, B. & Hédervári, É.:(2011) Die ersten Tage – Ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege. 7. Auflage. Cornelsen Verlag
Laewen, H.-J., Andres, B. & Hédervári, É. (2012): Ohne Eltern geht es nicht – Die Eingewöhnung von Kindern in Krippen und Tagespflegestellen. 6. Auflage. Cornelsen Verlag.
Laewen, H.-J., Andres, B. (2013): Grundlagen für die Qualitätsentwicklung in Kinderkrippen. infans-Sonderdruck, Berlin.
Forschung zum infans-Konzept
Hofmann. Th., Bolz, M. (2012): Schlussbericht Pilotprojekt bildungskrippen.ch – Die Anpassung und Implementierung des infans-Konzepts der Frühpädagogik in Schweizer Kindertagesstätten. bildungskrippen.ch, Zürich.
Landeshauptstadt Stuttgart, Jugendamt (Hrsg.) (2005). Einstein in der Kindertageseinrichtung – Von der Betreuungseinrichtung zur Bildungseinrichtung. Stuttgart.
Tietze et al. (ohne Jahresangabe): Untersuchungen zur Qualität der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen mit den KES-Skalen.
Tietze et al. (2011): Evaluation der pädagogischen Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder der Stadt Stuttgart. educert GmbH: Abschlussbericht.
Wünsche, M & Göschel, M (2012): Ein individuelles Curriculum aus fremden Händen – Mit jedem einzelnen Kind im Dialog. Pfv-Jahrbuch 2012. S. 144-154.
Wünsche, M. & Fröhlich-Gildhoff, K. (2012). Evaluation der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen der Stadt Rastatt: Wirkweisen unterschiedlicher Konzepte. In: S.Kägi & U.Stenger (Hrsg.) Forschung in Feldern der Frühpädagogik. Grundlagen-, Professionalisierungs- und Evaluationsforschung. Baltmannsweiler: Schneider, S. 321-339
Wustmann Seiler, C. (2013) Zur Qualitätsentwicklung der Schweizer Krippen mit dem infans-Konzept. Vortrag gehalten auf dem Kongress „Verantwortung übernehmen – Qualität verbessern“ am 12.07.2013 in Bad Krozingen.
[1] Die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF) wurde 2009 gegründet und ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts. [2] Informationen zum Institut sind auf der Website www.infans.de zu finden [3] Das Projekt wurde von infans e.V. durchgeführt und gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein und das Sächsische Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie.
Die Ergebnisse sind 2002 in zwei Bänden publiziert worden:
Laewen, H.-J./Andres, B.(Hrsg.): Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Berlin, Düsseldorf, Mannheim 2007a. 1. Auflage 2002.
Laewen, H.-J./Andres, B.(Hrsg.): Forscher, Künstler, Konstrukteure. Werkstattbuch zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Berlin, Düsseldorf, Mannheim 2007b. 1. Auflage 2002
[4] Andres, B./Laewen, H.-J.: Das infans-Konzept der Frühpädagogik – Bildung und Erziehung in Kindertagesstätten. Weimar, Berlin 2011. [5] Laewen, H.-J./Andres, B.(2013): Grundlagen für die Qualitätsentwicklung in Kinderkrippen. Sonderdruck, 4. Auflage 2016. Zu beziehen über infans e.V., 22,90€. [6] Zur Begründung und Diskussion siehe Laewen, Andres (Hrsg.) (2007): Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Cornelsen Verlag. 1. Auflage 2002 Luchterhand Verlag und Laewen, Andres (Hrsg.) (2007): Forscher, Künstler, Konstrukteure. Cornelsen Verlag. 1. Auflage 2002 im Luchterhand Verlag [7] Vgl. Dietrich Benner: Erziehung und Bildung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 4. 2015. Dort heißt es u. a.: „…verknüpft man die Begriffe Erziehung und Bildung in dem angedeuteten Sinn, dann kann man vielleicht sagen, dass pädagogisch inszenierte Erziehungsprozesse Bildungsprozesse zum Ziel haben.“ (S. 483). [8] Der Sonderdruck mit allen Instrumenten kann über infans e.V. bezogen werden: Laewen, H.-J.; Andres, B.: Grundlagen für die Qualitätsentwicklung in Kinderkrippen. [9] Wenn sich z. B. ein Kind sehr für Autos interessiert und keine Neigung zum Malen oder Zeichnen zeigt, dann kann sein Interesse an Autos aufgegriffen werden, um es zum Zeichnen zu bringen. In einer Kita in der Stadt Böblingen organisierten die Erzieherinnen einen Ausflug in eine nahe gelegene Autofabrik, antworteten also zuerst auf das Interesse des Kindes, und forderten danach das Kind auf, die neuen Erfahrungen aufzuzeichnen. Das gelang dann auch mühelos und nachhaltig. [10] Siehe in diesem Zusammenhang auch den Beitrag von Wertfein, M, Müller, K. & Danay, E.. Die Bedeutung des Teams für die Interaktionsqualität in Kinderkrippen. In:Frühe Bildung, 1, 2013, S. 20-27.